· 

Mein Weg durch Betonwände

Stellt euch vor, ihr seid sechzehn Jahre alt, ein junges Mädchen, und vor euch ragt dieses riesige, graue Gebäude hoch in den Himmel – ein Betonriese, kalt und abweisend. Ihr steht davor und spürt ein flaues Gefühl im Magen, das euch schon die ganze Nacht um den Schlaf gebracht hat. Mit jeder Sekunde fühlt ihr euch kleiner, während das Gebäude immer grösser wird, fast so, als wollte es euch erdrücken. Verzweifelt sammelt ihr euren Mut, doch plötzlich scheint es, als würde dieser Betonklotz drohend nach vorne kippen, um euch wie eine kleine Ameise zu zerquetschen.

Kennt jemand dieses Gefühl?

Ich hatte es jede Woche, ausser natürlich in den Schulferien. Es war der Beginn einer herausfordernden Zeit.

 

Heute, als Berufsbildnerin, weiss ich, dass viele junge Menschen mit solchen Gefühlen kämpfen. Ich nehme das sehr ernst, denn damals wurden meine eigenen Ängste nicht ernst genommen. Hätte ich damals mehr Selbstvertrauen gehabt, ich hätte für mich und mein Recht gekämpft. Ich hätte mich nicht entmutigen lassen, als man mir sagte, ich würde die LAP (heute QV) ohnehin nicht bestehen – und das, bevor ich überhaupt eine einzige Note geschrieben hatte.

Klingt verrückt?

Das war es auch.

Heute wäre es unvorstellbar, aber damals begann mein erster Berufsfachschultag mit einer „Bestandsaufnahme“: „Hand hoch, wer von der Bezirksschule kommt. Hand hoch, wer von der Sekundarschule kommt. Hand hoch, wer von der Realschule kommt…“

Und dann folgte die „Motivationsrede“, in der uns Real- und Sekundarschülern klar gemacht wurde, dass es für uns wohl schwierig bis unmöglich sein würde, die Ausbildung erfolgreich abzuschliessen. So begann leider mein erster Schultag, und es wurde nicht wirklich besser.

Heute weiss ich, dass ich alles erreichen kann, wenn ich es wirklich will – unabhängig von der Vorbildung.

 

Im Laufe der Jahre habe ich viele Menschen kennengelernt, die Ähnliches erlebt haben, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Alter.

Als Teenager war diese Erfahrung belastend. Ich fühlte mich hilflos und ohnmächtig.

Heute weiss ich, dass ich als Berufsbildnerin meine Lernenden stärken und ihnen zur Seite stehen werde, wenn sie je in einer solchen Situation sind. Doch ich hatte auch das Glück, wunderbare Berufsfachschullehrer/innen kennenzulernen, die mir gezeigt haben, dass es auch anders geht.

 

Wie ich es schon oft erlebt habe: Wenn mich jemand negativ prägt, lerne ich auch irgendwann einen Menschen kennen, der mich tief beeindruckt.

Das waren meine IKA-Lehrerin und mein W&G-Lehrer in der KV-Ausbildung. Sie waren für mich der Inbegriff von Einsatz für junge Menschen, mit Freude, Leidenschaft und Herz. Hätte ich sie doch nur früher schon kennenlernen dürfen!

Kommentar schreiben

Kommentare: 0